Kardinal Kaspers ökumenische Allgemeinplätzchen (IV)
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Kardinal Kaspers ökumenische Allgemeinplätzchen (IV)
Kardinal Kaspers ökumenische Allgemeinplätzchen (IV)
15. Oktober 2016 0
Walter Kaspers Annäherungsversuch an Martin Luther "kann in keiner Weise überzeugen.
Kurienkardinal Walter Kasper hat im März ein neues Lutherbuch herausgebracht. Darin glaubt er positive Anliegen des Reformators entdecken zu können.
Eine kommentierende Buchrezension von Hubert Hecker.
Kaspers kleines Büchlein mit dem Titel: „Martin Luther. Eine ökumenische Perspektive“ geht auf einen Vortrag vom Januar 2016 zurück. Zu Anfang meint der Autor, dass den heutigen Christen aller Konfessionen Luthers Reden und Schriften in vielfacher Hinsicht fremd erscheinen. Dazu stellt Kasper die kühne These auf, dass „gerade die Fremdheit Luthers und seiner Botschaft dessen ökumenische Aktualität“ ausmachen würde. Der Leser darf gespannt sein, ob und wie der Kardinal die Fremdheit Luthers in aktuelle ökumenische Nähe verwandeln will.
Luther speit Gift und Galle über Andersdenkende aus
Tatsächlich gibt es viele Aspekte in Luthers Lebenswerk, die auf heutige Zeitgenossen äußerst befremdlich wirken. Kasper weist auf die Hassreden des späten Reformators hin, der den Juden als Verstockten und Abtrünnigen alles Böse an Fluch und Verderben auf den Hals wünscht. Auch den Türken / Muslimen sagt er als Feinden der Christenheit den Kampf an – solange sie nicht gegen den Papst und die Katholiken im Krieg stehen. Denn der Papst als verfluchter Antichrist sowie alle papistischen Katholiken sind Luthers ärgste Feinde, gegen die er bis zu seinem Lebensende mit Hass und Hölle giftet.
Protestantische Anheizung des Hexenwahns
Aber auch konkurrierende reformatorische Gruppen wollte er bekämpft haben. Er forderte die damaligen fürstlichen Machthaber auf, die Vorgänger-Gemeinschaften der heutigen Mennoniten und Baptisten zu verfolgen bis zur Auslöschung. Ebenso sollte mit seinen reformatorischen Gegenspielern Karlstadt und Müntzer verfahren werden. An die Fürsten ging auch Luthers mörderischer Aufruf, die aufständischen Bauern totzuschlagen wie tolle Hunde, um sich mit diesen blutigen Werken den Himmel zu verdienen. Schließlich ist auf Luthers Hexenwahn hinzuweisen. Auf das Konto der durch evangelische Hexenpredigten aufgehetzten Protestanten gehen deutlich mehr als die Hälfte der Hexenopfer im Deutschen Reich zurück, deren Gesamtzahl nach aktuellem Forschungsstand mit 15.000-20.000 angegeben wird.
Luthers theologische Fragestellungen und Antworten sind heute irrelevant
Die Fremdheit Luthers gehe aber noch tiefer, bemerkt Kasper. Den meisten Christen beider Konfessionen seien die von Luther aufgeworfenen Fragen schlicht nicht mehr verständlich. Das gelte zum einen für den Disput um die Ablassfrage durch den bekannten Thesenkatalog. Sicherlich werden viele Protestanten Luther nicht verstehen, wenn er in These 71 aussagt:
Wer gegen die Wahrheit des apostolischen – d. h. päpstlichen – Ablasses spricht, der sei verworfen und verflucht.
Oder:
Der Papst handelt sehr richtig, den Seelen im Fegefeuer die Vergebung (der Sündenstrafen …) auf dem Wege der Fürbitte zuzuwenden (These 26).
Zum andern erscheint den heutigen Christen Luthers existentielle Frage, die zu seiner Rechtfertigungslehre führte, bedeutungslos: Wie kriege ich einen gnädigen Gott? Bei der verbreiteten Auffassung im zeitgeistigen Christentum, nach der man allein schon wegen der Barmherzigkeit Gottes (theologisch als umfassender Heilwille Gottes für alle formuliert) in den Himmel komme, ist Luthers Lebensfrage irrelevant (und damit auch seine Antworten in der Rechtfertigungslehre).
Luthers Fürstenreformation führte zur allseitigen Knechtung des Volkes
Entgegen allgemeiner Auffassung waren die Adressaten von Luthers Publikationen nicht das christliche Volk, sondern die Fürsten, der Adel und die städtischen Patrizier. Diese damals herrschenden Ständegruppen und ihren Anteil an den kirchlichen Miss-Ständen hat der Reformator nie kritisiert. Im Gegenteil. Auf der Basis seiner 1520er Schrift: An den christlichen Adel deutscher Nation übertrug Luther die Durchsetzung seiner eingeleiteten Reformation auf die herrschenden adligen Schichten. Nach dem Reichstag von Speyer (1526) dominierten die Fürsten als Laienbischöfe die protestantische Kirchenordnung.
Antikatholische Hetze
Es erscheint uns Heutigen äußerst befremdlich, wie Luther mit diesem kirchlichen Ordnungskonzept und der Zwei-Reiche-Lehre seine Anhänger zu Fürstenknechten in weltlichen und kirchlichen Dingen degradierte. Im landesherrlichen Kirchenregiment der weltlichen Landesherren hatte die Glaubensfreiheit eines Christenmenschen keinen Platz (cuius regio, eius religio). Kasper stellt fest: So führte die Reformation zunächst nicht in die Neuzeit, sondern zu einer Verlängerung des Mittelalters. Das trifft aber so nicht zu. Denn in der mittelalterlichen Stadtgesellschaft mit kommunaler Selbstverwaltung hatten die Bürger – gegliedert nach Ständen – deutlich mehr Rechte als die rechtlosen Untertanen in dem von Luther favorisierten absolutistischen Obrigkeitsstaat. In diesem Punkt fiel Luther hinter das Mittelalter zurück.
Anfällig für nationalistische Pathologien
Kasper führt weiter aus: Durch Luthers Reformation und Kirchenspaltung wurden die beiden mittelalterlichen Klammern des Reiches, Papst und Kaiser, ausgeklinkt. Das Ende des reichskirchlichen Universalismus brachte kirchlichen und politischen Partikularismus und einen oft konfessionell gefärbten Nationalismus, der Europa viel Unheil bescherte.
Auf Luthers autokratischen Obrigkeitsstaat wurde schon hingewiesen: Der Esel will Schläge haben und der Pöbel mit Gewalt regiert werden – so Luthers verächtliche Meinung vom Volk. Lehrmäßig war die totale Fürstenherrschaft durch Luthers Auffassung von der totalen Verderbtheit der Menschen, auch der getauften, abgeleitet.
Luther als „Hercules Germanicus“ – protestantische Propaganda
Die Fürstenherrschaft über die lutherischen Glaubensgemeinschaften führte zu einem territorialstaatlich und später nationalkirchlich organisierten Protestantismus. Der war besonders anfällig für nationalistische Pathologien. Schon den absolutistischen Königen des 17. und 18. Jahrhunderts dienten sich protestantische Prediger mit dem göttlichen Schlachtenlenker an. Bei den Befreiungskriegen und dem 300jährigen Luther-Jubiläum von 1817 wurde Luther als Kronzeuge dafür aufgebaut, dass Christentum und Deutschtum aufeinander angelegt seien – einschließlich antisemitischer Tendenzen. Endpunkt dieser Entwicklung war 1939 die Erklärung von elf deutschchristlichen Landeskirchen, dass die nationalsozialistischen Weltanschauung das Werk Martin Luthers fortführt.
Der legendarische Luther – diesmal als Bannerträger des modernen Rechtsstaates
Losgelöst von naturrechtlichen Prinzipien sowie dem Standpunkt des päpstlich-kirchlichen Universalismus waren und sind die protestantischen Gruppen dafür anfällig, ein anschmiegsames Verhältnis zum jeweiligen Zeitgeist aufzubauen. In dem neuen Grundsatzpapier der EKD zum Reformationsjubiläum 2017 mit dem Titel Rechtfertigung und Freiheit heißt es: Luthers grundsätzlicher theologischer Überzeugung entspricht die moderne Verfassungsgestalt des demokratischen Rechtsstaates. Darauf angesprochen, dass Luther doch gerade den freien Willen, die autonome Gewissensentscheidung sowie alle Rechte des Individuums in weltlichen (und später auch) geistlichen Dingen verneint hatte, verweisen die Autoren auf ihren Ansatz, Person und Werk Luthers frei vom heutigen Zeitgeist her interpretieren zu wollen: Jubiläen rekonstruieren nicht einfach Gewesenes, sondern schreiben es in allgemeinen Erzählungen ein, die aktuelle Relevanz beanspruchen. So wird Luther nachträglich als Lichtgestalt der Moderne auf einen legendarischen Sockel gehoben. Die neue Rechtfertigungslehre besteht anscheinend darin, dass der Protestantismus Aufklärung und moderne Staatlichkeit begründet und begleitet hätte. Doch diese Thesen werden entgegen der historischen Wahrheit, wider intellektueller Redlichkeit und ohne theologischen Inhalte aufgeführt. Die katholische Kirche würde sich schuldig machen, wenn sie an diesem Jubelprozess der unwahrhaftigen protestantischen Selbstbespiegelung teilnähme.
Die neuzeitlich Geschichte fing nicht erst 1517 an
Kardinal Kaspers Lutherbuch
Der Kardinal drückt seine Skepsis gegenüber einem Luther als Bahnbrecher der Geistesfreiheit und Bannerträger der Neuzeit etwas zurückhaltender aus. Er verweist aber auf die kategorische Ablehnung des freien Willens durch den Reformator. In der Auseinandersetzung mit dem Humanisten Erasmus behauptete Luther, dass jeder Christ wie ein Reittier entweder von Gott oder vom Teufel geritten werde. Im Übrigen, so Kasper weiter, gab es Bibelkritik, freimütige Kritik an der Kirche und Reformbemühungen schon vor Luther im Spätmittelalter zuhauf. Das waren die Wurzeln für die eigenständigen Reformen der Kirche im 16. Jahrhundert, die als Reaktion auf Luther oder Gegenreformation fälschlich verkürzt wären. Die Eigenentwicklung der kirchlichen Reformen kann man an der Form der tridentinischen Lehraussagen erkennen: Zunächst entfaltet das Konzil die schon immer gelehrten kirchlichen Dogmen. Erst danach werden die Abweichungen des Pelagianismus und Protestantismus als häretisch verurteilt. Diese Lehrgrundlagen sowie die jesuitische Spiritualität, die spanische Mystik und die Weltfrömmigkeit des Franz von Sales bildeten die geistliche Basis für die katholisch inspirierte europäische Barockkultur. Und selbst bei den geistesgeschichtlichen Strömungen kann man nach Ernst Troeltsch festhalten: Mit Descartes und Pascal, Kopernikus sowie italienischen und spanischen Klassikern sind im konfessionellen Zeitalter die Mutterländer der modernen Zivilisation Italien, Frankreich und auch Spanien katholisch. Selbst die von evangelikalen und Calvinisten propagierten Menschenrechte hatten die Dominikaner-Theologen von Salamanca schon im 16. Jahrhundert vorgedacht und grundgelegt. Jedenfalls haben sie im lutherischen Lehrcorpus keine Basis.
Der Trick mit dem Aussagen-Hintersinn der ‚Anliegen‚
Nach diesen Ausführungen fragt sich der Leser erst recht, wie Kasper bei den fremden und befremdlichen Tendenzen in Luthers Reden und Schriften eine ökumenische Aktualität entdecken will. Das gelingt ihm auch nur scheinbar mit einem Trick, den schon vor ihm katholische Ökumeniker wie Hans Küng und O. H. Pesch angewandt hatten: Sie stützen sich nicht auf Sinn und Bedeutung der tatsächlichen Aussagen von Luther, sondern konstruieren einen Hintersinn in seine Schriften hinein – seine angeblichen Anliegen. Kasper will allein in seinem zweiten Kapitel sechs religiöse, evangelische, katholische, mystische und ökumenische Anliegen Luthers entdeckt haben. In der kleinen Schrift sind es insgesamt elf inflationäre Ur- und Grundanliegen, die hinter, vor, unter oder über Luther stehen sollen.
Kardinal Walter Kasper
Die Philosophie der eigentlichen Anliegen wird in folgende Grundannahme eingebettet: Wegen der Ablehnung von Luthers ursprünglichen Reformrufe zur Buße durch Rom und die deutschen Bischöfe sowie gedrängt durch die deutschen Fürsten und Adeligen habe er sich gezwungen gesehen, die geforderten Reformen zu einer umfassenden kirchlich-theologischen Reformation auszuweiten, die Papstkirche als antichristlich zu bekämpfen und eine eigene Kirchenorganisation zu etablieren. Im Evangelium der Gnade Gottes hätte er dafür Begründung und Rechtfertigung gefunden.
Ambivalenz der 95 Thesen
Mit dem Konstrukt des Reformators wider Willen wird der angeblich reformresistenten Kirche die Ursache und Schuld für die Kirchenspaltung in die Schuhe geschoben. Jedoch sind praktisch alle Aspekte der obigen Erklärung fehlerhaft.
Wichtige Teile der 95 Thesen stehen im diametralen Widerspruch zu Luthers späteren Reformationsschriften: Mit dem bußfertigen Leben der Gläubigen meinte Luther ausdrücklich mancherlei Werke zur Abtötung des Fleisches (3. These). In ein Dutzend weiteren Thesen spricht Luther von heilsnotwendigen Werken der Liebe und Barmherzigkeit. Aufrichtige Reue, die nach These 40 die Strafe liebt und begehrt, lehnte Luther später zusammen mit Absolution und Beichte kategorisch ab. Gleichwohl war in einigen Thesen durchaus ein Bruch mit Rom angelegt.
Lehrte Luther zum Zeitpunkt des Thesenanschlags noch katholisch? Die quälende Skrupelhaftigkeit beim frühen Luther führen Kirchengeschichtler auf eine semi-pelagianistische Werkgerechtigkeit zurück in Verbindung mit einem ‚unberechenbaren‘ (Willkür-) Gott nach William Okham. Darin war das Scheitern von Luthers Streben nach Heilsicherheit (These 32) durch Werke angelegt. Sowohl die einseitige Fixierung auf Werkgerechtigkeit (ohne Glauben) wie auf Heilssicherheit (die die Hoffnung überflüssig macht) sind nicht katholisch.
Luther war für die kirchenspaltende Reformation verantwortlich
War der Theologe Martin Luther nicht der wirkliche Akteur seiner Handlungen, sondern nur ein kirchlich Reagierender oder durch politisch-geschichtliche Umstände Getriebener? Der Konvertit Paul Hacker bestreitet diese gängige These energisch. Denn aus seinen Studien ergibt sich schlüssig, dass Luthers strikte Ablehnung von Papst und Kirche aus dessen Lehre von der subjektiven Heilsgewissheit des einzelnen Gläubigen entstanden ist – und nicht als Reaktion auf päpstlich-kirchliches Handeln. Es hätte für ihn zwei Möglichkeiten gegeben: den Weg der Reformen, den er in seinen vorprotestantischen Schriften jahrelang gepredigt hatte, oder den Weg der kirchlichen Abspaltung, für den er sich ab 1518 entschied.
Aus Luthers Schriften nach dem Thesenanschlag zeigt sich eine zunehmende Polemik und Frontstellung gegen kirchliche Lehren. Seine publizistischen Äußerungen machen eher den Eindruck von theologischer Rechthaberei und kirchlichem Hochmut, als dass es sein Anliegen gewesen wäre, die katholische Kirche als ganze zu erneuern. Seine Schriften jener Zeit können schwerlich als ein Angebot des Heiligen Geistes an die Kirche gesehen werden (S. 24f).
Für Luthers subjektive Heilgewissheit aus dem Glauben war die Kirche überflüssig
Aus der unsicheren Heilsgewissheit allein durch Werke (siehe oben) entwickelte Luther in den Jahren ab 1518 das Gegenteil – die sichere Heilsgewissheit allein durch Glauben. Für diese neue Lehre musste er sich sowohl die Theologiegeschichte als auch die Bibelexegese zurechtschneidern. Was Luther als sein Evangelium der Erlösung allein durch Gnade und Glauben erklärte, entsprach einer selektiven Schriftauslegung. Es ist von daher fragwürdig, Luthers Vorgehen als Erneuerung der Christenheit aus dem Evangelium anzupreisen (S. 23).
Ganz unpassend ist Kaspers Vergleich von Luthers evangelischem Anliegen mit der langen Tradition der katholischen Erneuerung, insbesondere der des Franz von Assisi (S. 25). Während dieser und seine Minderbrüder im Rahmen der kirchlichen Tradition die Weisungen des Evangeliums und der Kirche demütig annahmen und lebten, bringt Luther mit ausdrücklichem Stolz und Hochmut die Bibel gegen die Kirche in Gegensatzstellung, um daraus allein die Rechtfertigung durch Glauben beweisen zu wollen.
Luthers These von der subjektiven Erlösungs- und Heilsgewissheit durch den immer wieder erneuerten persönlichen Glaubensakt ist der Kern seiner neuen reformatorischen Lehre. Für diese allein heilsentscheidenden Glaubensakte waren Sakramente und kirchliche Vermittler überflüssig. Aus dem Ansatz resultierte also die kategorische Ablehnung von Papst, sakramentaler Kirche und kirchlichen Ämtern. Demnach ist das unterstellte Anliegen falsch, Luther habe nur für die Deformationen des bestehenden römischen Systems eine Reform einleiten wollen, wie Kasper auf S. 30f behauptet. Angesichts der deutlichen lutherischen Aussagen muss der Buchautor später selbst feststellen, dass die protestantischen und katholischen Lehren zu Kirche und Ämtern gänzlich unvereinbar sind. Auch die heutigen Modelle der evangelischen Kirchengemeinschaften und der katholischen Kircheneinheit in Wort, Sakrament und Amt seien inkompatibel (S. 54).
Enttäuschende Vorschlags-Ökumene
Der Ansatz von Kasper und Co., aus den vermeintlich eigentlichen Anliegen Luthers ökumenische Funken zu schlagen, führt offensichtlich nicht weiter. Das zeigt sich im sechsten Kapitel des Büchleins, in dem Luthers ökumenische Aktualität eigentlich aktuell werden sollte. Tatsächlich verbrät Kasper hier (S. 60 – 65) nur dünne Allgemeinplätzchen wie:
Luthers Glaube an die Selbstdurchsetzung der Wahrheit des Evangeliums (ohne kirchliches Lehramt und Lehrtradition) ist nach Geschichte und Theologie ein typisch lutherischer Holzweg.
Das Zweite Vaticanum habe neue ökumenische Impulse gegeben.
Man sollte die Wahrheit in Liebe sagen, über Luthers Abendmahlsfrömmigkeit erneut ins Gespräch kommen.
Man könnte auch die Fragen über Kirche und Amt erneut aufgreifen etc.
Sollen das ernsthafte Vorschläge sein, dass die katholische Kirche auf das protestantische Kirchenmodell der versöhnten Verschiedenheit einschwenkt?
Das Kirchenbild des Polyeders von Papst Franziskus scheint in diese Richtung zu gehen, widerspricht aber direkt den Kirchenaussagen des Konzils und dem Dokument Dominus Jesus.
Nach dieser enttäuschenden Vorschlagsökumene zieht der Autor seinen letzten, kaspertypischen Trumpf aus seiner Tasche – die Ökumene der Barmherzigkeit (Kapitel 7): Luthers ursprünglicher Ansatz beim Evangelium von der Gnade und Barmherzigkeit Gottes wäre damals wie heute die Antwort auf die Zeichen der Zeit und die drängenden Fragen vieler Menschen. Damit ist Kasper auf seine Anfangsthese zurückgekommen, nach der in der Fremdheit von Luthers Botschaft seine ökumenische Aktualität bestehe. Überzeugend ist seine Schlussthese nicht. Denn inwiefern sollen Luthers fremde Thesen für die heutigen Menschen plötzlich vertraut und antwortgebend sein?
Der Kardinal spricht davon, dass man Ökumene nicht ‚machen‘ könne. Man sollte auf das Wirken des Heiligen Geistes vertrauen. Dann aber stutzt er das ökumenische Ziel doch wieder auf ein machbares Maß zusammen – auf das Bild des Polyeders Einheit in großer versöhnter Vielheit (S. 70). Der widersprüchliche Vorschlag von der kirchlichen Einheit in großer Vielheit klingt nach pluralistischer Theologie und der Quadratur des Kreises.
Kardinal Walter Kasper kann mit seinem Anliegen, bei Martin Luther eine ökumenische Perspektive aufzuweisen, in keiner Weise überzeugen. Damit dürfte er auch kein guter ökumenischer Ratgeber für Papst Franziskus sein.
http://www.katholisches.info/2016/10/15/kardinal-kaspers-oekumenische-allgemeinplaetzchen-iv/
Bisher von Hubert Hecker in dieser Reihe erschienene Aufsätze über Martin Luther:
15. Oktober 2016 0
Walter Kaspers Annäherungsversuch an Martin Luther "kann in keiner Weise überzeugen.
Kurienkardinal Walter Kasper hat im März ein neues Lutherbuch herausgebracht. Darin glaubt er positive Anliegen des Reformators entdecken zu können.
Eine kommentierende Buchrezension von Hubert Hecker.
Kaspers kleines Büchlein mit dem Titel: „Martin Luther. Eine ökumenische Perspektive“ geht auf einen Vortrag vom Januar 2016 zurück. Zu Anfang meint der Autor, dass den heutigen Christen aller Konfessionen Luthers Reden und Schriften in vielfacher Hinsicht fremd erscheinen. Dazu stellt Kasper die kühne These auf, dass „gerade die Fremdheit Luthers und seiner Botschaft dessen ökumenische Aktualität“ ausmachen würde. Der Leser darf gespannt sein, ob und wie der Kardinal die Fremdheit Luthers in aktuelle ökumenische Nähe verwandeln will.
Luther speit Gift und Galle über Andersdenkende aus
Tatsächlich gibt es viele Aspekte in Luthers Lebenswerk, die auf heutige Zeitgenossen äußerst befremdlich wirken. Kasper weist auf die Hassreden des späten Reformators hin, der den Juden als Verstockten und Abtrünnigen alles Böse an Fluch und Verderben auf den Hals wünscht. Auch den Türken / Muslimen sagt er als Feinden der Christenheit den Kampf an – solange sie nicht gegen den Papst und die Katholiken im Krieg stehen. Denn der Papst als verfluchter Antichrist sowie alle papistischen Katholiken sind Luthers ärgste Feinde, gegen die er bis zu seinem Lebensende mit Hass und Hölle giftet.
Protestantische Anheizung des Hexenwahns
Aber auch konkurrierende reformatorische Gruppen wollte er bekämpft haben. Er forderte die damaligen fürstlichen Machthaber auf, die Vorgänger-Gemeinschaften der heutigen Mennoniten und Baptisten zu verfolgen bis zur Auslöschung. Ebenso sollte mit seinen reformatorischen Gegenspielern Karlstadt und Müntzer verfahren werden. An die Fürsten ging auch Luthers mörderischer Aufruf, die aufständischen Bauern totzuschlagen wie tolle Hunde, um sich mit diesen blutigen Werken den Himmel zu verdienen. Schließlich ist auf Luthers Hexenwahn hinzuweisen. Auf das Konto der durch evangelische Hexenpredigten aufgehetzten Protestanten gehen deutlich mehr als die Hälfte der Hexenopfer im Deutschen Reich zurück, deren Gesamtzahl nach aktuellem Forschungsstand mit 15.000-20.000 angegeben wird.
Luthers theologische Fragestellungen und Antworten sind heute irrelevant
Die Fremdheit Luthers gehe aber noch tiefer, bemerkt Kasper. Den meisten Christen beider Konfessionen seien die von Luther aufgeworfenen Fragen schlicht nicht mehr verständlich. Das gelte zum einen für den Disput um die Ablassfrage durch den bekannten Thesenkatalog. Sicherlich werden viele Protestanten Luther nicht verstehen, wenn er in These 71 aussagt:
Wer gegen die Wahrheit des apostolischen – d. h. päpstlichen – Ablasses spricht, der sei verworfen und verflucht.
Oder:
Der Papst handelt sehr richtig, den Seelen im Fegefeuer die Vergebung (der Sündenstrafen …) auf dem Wege der Fürbitte zuzuwenden (These 26).
Zum andern erscheint den heutigen Christen Luthers existentielle Frage, die zu seiner Rechtfertigungslehre führte, bedeutungslos: Wie kriege ich einen gnädigen Gott? Bei der verbreiteten Auffassung im zeitgeistigen Christentum, nach der man allein schon wegen der Barmherzigkeit Gottes (theologisch als umfassender Heilwille Gottes für alle formuliert) in den Himmel komme, ist Luthers Lebensfrage irrelevant (und damit auch seine Antworten in der Rechtfertigungslehre).
Luthers Fürstenreformation führte zur allseitigen Knechtung des Volkes
Entgegen allgemeiner Auffassung waren die Adressaten von Luthers Publikationen nicht das christliche Volk, sondern die Fürsten, der Adel und die städtischen Patrizier. Diese damals herrschenden Ständegruppen und ihren Anteil an den kirchlichen Miss-Ständen hat der Reformator nie kritisiert. Im Gegenteil. Auf der Basis seiner 1520er Schrift: An den christlichen Adel deutscher Nation übertrug Luther die Durchsetzung seiner eingeleiteten Reformation auf die herrschenden adligen Schichten. Nach dem Reichstag von Speyer (1526) dominierten die Fürsten als Laienbischöfe die protestantische Kirchenordnung.
Antikatholische Hetze
Es erscheint uns Heutigen äußerst befremdlich, wie Luther mit diesem kirchlichen Ordnungskonzept und der Zwei-Reiche-Lehre seine Anhänger zu Fürstenknechten in weltlichen und kirchlichen Dingen degradierte. Im landesherrlichen Kirchenregiment der weltlichen Landesherren hatte die Glaubensfreiheit eines Christenmenschen keinen Platz (cuius regio, eius religio). Kasper stellt fest: So führte die Reformation zunächst nicht in die Neuzeit, sondern zu einer Verlängerung des Mittelalters. Das trifft aber so nicht zu. Denn in der mittelalterlichen Stadtgesellschaft mit kommunaler Selbstverwaltung hatten die Bürger – gegliedert nach Ständen – deutlich mehr Rechte als die rechtlosen Untertanen in dem von Luther favorisierten absolutistischen Obrigkeitsstaat. In diesem Punkt fiel Luther hinter das Mittelalter zurück.
Anfällig für nationalistische Pathologien
Kasper führt weiter aus: Durch Luthers Reformation und Kirchenspaltung wurden die beiden mittelalterlichen Klammern des Reiches, Papst und Kaiser, ausgeklinkt. Das Ende des reichskirchlichen Universalismus brachte kirchlichen und politischen Partikularismus und einen oft konfessionell gefärbten Nationalismus, der Europa viel Unheil bescherte.
Auf Luthers autokratischen Obrigkeitsstaat wurde schon hingewiesen: Der Esel will Schläge haben und der Pöbel mit Gewalt regiert werden – so Luthers verächtliche Meinung vom Volk. Lehrmäßig war die totale Fürstenherrschaft durch Luthers Auffassung von der totalen Verderbtheit der Menschen, auch der getauften, abgeleitet.
Luther als „Hercules Germanicus“ – protestantische Propaganda
Die Fürstenherrschaft über die lutherischen Glaubensgemeinschaften führte zu einem territorialstaatlich und später nationalkirchlich organisierten Protestantismus. Der war besonders anfällig für nationalistische Pathologien. Schon den absolutistischen Königen des 17. und 18. Jahrhunderts dienten sich protestantische Prediger mit dem göttlichen Schlachtenlenker an. Bei den Befreiungskriegen und dem 300jährigen Luther-Jubiläum von 1817 wurde Luther als Kronzeuge dafür aufgebaut, dass Christentum und Deutschtum aufeinander angelegt seien – einschließlich antisemitischer Tendenzen. Endpunkt dieser Entwicklung war 1939 die Erklärung von elf deutschchristlichen Landeskirchen, dass die nationalsozialistischen Weltanschauung das Werk Martin Luthers fortführt.
Der legendarische Luther – diesmal als Bannerträger des modernen Rechtsstaates
Losgelöst von naturrechtlichen Prinzipien sowie dem Standpunkt des päpstlich-kirchlichen Universalismus waren und sind die protestantischen Gruppen dafür anfällig, ein anschmiegsames Verhältnis zum jeweiligen Zeitgeist aufzubauen. In dem neuen Grundsatzpapier der EKD zum Reformationsjubiläum 2017 mit dem Titel Rechtfertigung und Freiheit heißt es: Luthers grundsätzlicher theologischer Überzeugung entspricht die moderne Verfassungsgestalt des demokratischen Rechtsstaates. Darauf angesprochen, dass Luther doch gerade den freien Willen, die autonome Gewissensentscheidung sowie alle Rechte des Individuums in weltlichen (und später auch) geistlichen Dingen verneint hatte, verweisen die Autoren auf ihren Ansatz, Person und Werk Luthers frei vom heutigen Zeitgeist her interpretieren zu wollen: Jubiläen rekonstruieren nicht einfach Gewesenes, sondern schreiben es in allgemeinen Erzählungen ein, die aktuelle Relevanz beanspruchen. So wird Luther nachträglich als Lichtgestalt der Moderne auf einen legendarischen Sockel gehoben. Die neue Rechtfertigungslehre besteht anscheinend darin, dass der Protestantismus Aufklärung und moderne Staatlichkeit begründet und begleitet hätte. Doch diese Thesen werden entgegen der historischen Wahrheit, wider intellektueller Redlichkeit und ohne theologischen Inhalte aufgeführt. Die katholische Kirche würde sich schuldig machen, wenn sie an diesem Jubelprozess der unwahrhaftigen protestantischen Selbstbespiegelung teilnähme.
Die neuzeitlich Geschichte fing nicht erst 1517 an
Kardinal Kaspers Lutherbuch
Der Kardinal drückt seine Skepsis gegenüber einem Luther als Bahnbrecher der Geistesfreiheit und Bannerträger der Neuzeit etwas zurückhaltender aus. Er verweist aber auf die kategorische Ablehnung des freien Willens durch den Reformator. In der Auseinandersetzung mit dem Humanisten Erasmus behauptete Luther, dass jeder Christ wie ein Reittier entweder von Gott oder vom Teufel geritten werde. Im Übrigen, so Kasper weiter, gab es Bibelkritik, freimütige Kritik an der Kirche und Reformbemühungen schon vor Luther im Spätmittelalter zuhauf. Das waren die Wurzeln für die eigenständigen Reformen der Kirche im 16. Jahrhundert, die als Reaktion auf Luther oder Gegenreformation fälschlich verkürzt wären. Die Eigenentwicklung der kirchlichen Reformen kann man an der Form der tridentinischen Lehraussagen erkennen: Zunächst entfaltet das Konzil die schon immer gelehrten kirchlichen Dogmen. Erst danach werden die Abweichungen des Pelagianismus und Protestantismus als häretisch verurteilt. Diese Lehrgrundlagen sowie die jesuitische Spiritualität, die spanische Mystik und die Weltfrömmigkeit des Franz von Sales bildeten die geistliche Basis für die katholisch inspirierte europäische Barockkultur. Und selbst bei den geistesgeschichtlichen Strömungen kann man nach Ernst Troeltsch festhalten: Mit Descartes und Pascal, Kopernikus sowie italienischen und spanischen Klassikern sind im konfessionellen Zeitalter die Mutterländer der modernen Zivilisation Italien, Frankreich und auch Spanien katholisch. Selbst die von evangelikalen und Calvinisten propagierten Menschenrechte hatten die Dominikaner-Theologen von Salamanca schon im 16. Jahrhundert vorgedacht und grundgelegt. Jedenfalls haben sie im lutherischen Lehrcorpus keine Basis.
Der Trick mit dem Aussagen-Hintersinn der ‚Anliegen‚
Nach diesen Ausführungen fragt sich der Leser erst recht, wie Kasper bei den fremden und befremdlichen Tendenzen in Luthers Reden und Schriften eine ökumenische Aktualität entdecken will. Das gelingt ihm auch nur scheinbar mit einem Trick, den schon vor ihm katholische Ökumeniker wie Hans Küng und O. H. Pesch angewandt hatten: Sie stützen sich nicht auf Sinn und Bedeutung der tatsächlichen Aussagen von Luther, sondern konstruieren einen Hintersinn in seine Schriften hinein – seine angeblichen Anliegen. Kasper will allein in seinem zweiten Kapitel sechs religiöse, evangelische, katholische, mystische und ökumenische Anliegen Luthers entdeckt haben. In der kleinen Schrift sind es insgesamt elf inflationäre Ur- und Grundanliegen, die hinter, vor, unter oder über Luther stehen sollen.
Kardinal Walter Kasper
Die Philosophie der eigentlichen Anliegen wird in folgende Grundannahme eingebettet: Wegen der Ablehnung von Luthers ursprünglichen Reformrufe zur Buße durch Rom und die deutschen Bischöfe sowie gedrängt durch die deutschen Fürsten und Adeligen habe er sich gezwungen gesehen, die geforderten Reformen zu einer umfassenden kirchlich-theologischen Reformation auszuweiten, die Papstkirche als antichristlich zu bekämpfen und eine eigene Kirchenorganisation zu etablieren. Im Evangelium der Gnade Gottes hätte er dafür Begründung und Rechtfertigung gefunden.
Ambivalenz der 95 Thesen
Mit dem Konstrukt des Reformators wider Willen wird der angeblich reformresistenten Kirche die Ursache und Schuld für die Kirchenspaltung in die Schuhe geschoben. Jedoch sind praktisch alle Aspekte der obigen Erklärung fehlerhaft.
Wichtige Teile der 95 Thesen stehen im diametralen Widerspruch zu Luthers späteren Reformationsschriften: Mit dem bußfertigen Leben der Gläubigen meinte Luther ausdrücklich mancherlei Werke zur Abtötung des Fleisches (3. These). In ein Dutzend weiteren Thesen spricht Luther von heilsnotwendigen Werken der Liebe und Barmherzigkeit. Aufrichtige Reue, die nach These 40 die Strafe liebt und begehrt, lehnte Luther später zusammen mit Absolution und Beichte kategorisch ab. Gleichwohl war in einigen Thesen durchaus ein Bruch mit Rom angelegt.
Lehrte Luther zum Zeitpunkt des Thesenanschlags noch katholisch? Die quälende Skrupelhaftigkeit beim frühen Luther führen Kirchengeschichtler auf eine semi-pelagianistische Werkgerechtigkeit zurück in Verbindung mit einem ‚unberechenbaren‘ (Willkür-) Gott nach William Okham. Darin war das Scheitern von Luthers Streben nach Heilsicherheit (These 32) durch Werke angelegt. Sowohl die einseitige Fixierung auf Werkgerechtigkeit (ohne Glauben) wie auf Heilssicherheit (die die Hoffnung überflüssig macht) sind nicht katholisch.
Luther war für die kirchenspaltende Reformation verantwortlich
War der Theologe Martin Luther nicht der wirkliche Akteur seiner Handlungen, sondern nur ein kirchlich Reagierender oder durch politisch-geschichtliche Umstände Getriebener? Der Konvertit Paul Hacker bestreitet diese gängige These energisch. Denn aus seinen Studien ergibt sich schlüssig, dass Luthers strikte Ablehnung von Papst und Kirche aus dessen Lehre von der subjektiven Heilsgewissheit des einzelnen Gläubigen entstanden ist – und nicht als Reaktion auf päpstlich-kirchliches Handeln. Es hätte für ihn zwei Möglichkeiten gegeben: den Weg der Reformen, den er in seinen vorprotestantischen Schriften jahrelang gepredigt hatte, oder den Weg der kirchlichen Abspaltung, für den er sich ab 1518 entschied.
Aus Luthers Schriften nach dem Thesenanschlag zeigt sich eine zunehmende Polemik und Frontstellung gegen kirchliche Lehren. Seine publizistischen Äußerungen machen eher den Eindruck von theologischer Rechthaberei und kirchlichem Hochmut, als dass es sein Anliegen gewesen wäre, die katholische Kirche als ganze zu erneuern. Seine Schriften jener Zeit können schwerlich als ein Angebot des Heiligen Geistes an die Kirche gesehen werden (S. 24f).
Für Luthers subjektive Heilgewissheit aus dem Glauben war die Kirche überflüssig
Aus der unsicheren Heilsgewissheit allein durch Werke (siehe oben) entwickelte Luther in den Jahren ab 1518 das Gegenteil – die sichere Heilsgewissheit allein durch Glauben. Für diese neue Lehre musste er sich sowohl die Theologiegeschichte als auch die Bibelexegese zurechtschneidern. Was Luther als sein Evangelium der Erlösung allein durch Gnade und Glauben erklärte, entsprach einer selektiven Schriftauslegung. Es ist von daher fragwürdig, Luthers Vorgehen als Erneuerung der Christenheit aus dem Evangelium anzupreisen (S. 23).
Ganz unpassend ist Kaspers Vergleich von Luthers evangelischem Anliegen mit der langen Tradition der katholischen Erneuerung, insbesondere der des Franz von Assisi (S. 25). Während dieser und seine Minderbrüder im Rahmen der kirchlichen Tradition die Weisungen des Evangeliums und der Kirche demütig annahmen und lebten, bringt Luther mit ausdrücklichem Stolz und Hochmut die Bibel gegen die Kirche in Gegensatzstellung, um daraus allein die Rechtfertigung durch Glauben beweisen zu wollen.
Luthers These von der subjektiven Erlösungs- und Heilsgewissheit durch den immer wieder erneuerten persönlichen Glaubensakt ist der Kern seiner neuen reformatorischen Lehre. Für diese allein heilsentscheidenden Glaubensakte waren Sakramente und kirchliche Vermittler überflüssig. Aus dem Ansatz resultierte also die kategorische Ablehnung von Papst, sakramentaler Kirche und kirchlichen Ämtern. Demnach ist das unterstellte Anliegen falsch, Luther habe nur für die Deformationen des bestehenden römischen Systems eine Reform einleiten wollen, wie Kasper auf S. 30f behauptet. Angesichts der deutlichen lutherischen Aussagen muss der Buchautor später selbst feststellen, dass die protestantischen und katholischen Lehren zu Kirche und Ämtern gänzlich unvereinbar sind. Auch die heutigen Modelle der evangelischen Kirchengemeinschaften und der katholischen Kircheneinheit in Wort, Sakrament und Amt seien inkompatibel (S. 54).
Enttäuschende Vorschlags-Ökumene
Der Ansatz von Kasper und Co., aus den vermeintlich eigentlichen Anliegen Luthers ökumenische Funken zu schlagen, führt offensichtlich nicht weiter. Das zeigt sich im sechsten Kapitel des Büchleins, in dem Luthers ökumenische Aktualität eigentlich aktuell werden sollte. Tatsächlich verbrät Kasper hier (S. 60 – 65) nur dünne Allgemeinplätzchen wie:
Luthers Glaube an die Selbstdurchsetzung der Wahrheit des Evangeliums (ohne kirchliches Lehramt und Lehrtradition) ist nach Geschichte und Theologie ein typisch lutherischer Holzweg.
Das Zweite Vaticanum habe neue ökumenische Impulse gegeben.
Man sollte die Wahrheit in Liebe sagen, über Luthers Abendmahlsfrömmigkeit erneut ins Gespräch kommen.
Man könnte auch die Fragen über Kirche und Amt erneut aufgreifen etc.
Sollen das ernsthafte Vorschläge sein, dass die katholische Kirche auf das protestantische Kirchenmodell der versöhnten Verschiedenheit einschwenkt?
Das Kirchenbild des Polyeders von Papst Franziskus scheint in diese Richtung zu gehen, widerspricht aber direkt den Kirchenaussagen des Konzils und dem Dokument Dominus Jesus.
Nach dieser enttäuschenden Vorschlagsökumene zieht der Autor seinen letzten, kaspertypischen Trumpf aus seiner Tasche – die Ökumene der Barmherzigkeit (Kapitel 7): Luthers ursprünglicher Ansatz beim Evangelium von der Gnade und Barmherzigkeit Gottes wäre damals wie heute die Antwort auf die Zeichen der Zeit und die drängenden Fragen vieler Menschen. Damit ist Kasper auf seine Anfangsthese zurückgekommen, nach der in der Fremdheit von Luthers Botschaft seine ökumenische Aktualität bestehe. Überzeugend ist seine Schlussthese nicht. Denn inwiefern sollen Luthers fremde Thesen für die heutigen Menschen plötzlich vertraut und antwortgebend sein?
Der Kardinal spricht davon, dass man Ökumene nicht ‚machen‘ könne. Man sollte auf das Wirken des Heiligen Geistes vertrauen. Dann aber stutzt er das ökumenische Ziel doch wieder auf ein machbares Maß zusammen – auf das Bild des Polyeders Einheit in großer versöhnter Vielheit (S. 70). Der widersprüchliche Vorschlag von der kirchlichen Einheit in großer Vielheit klingt nach pluralistischer Theologie und der Quadratur des Kreises.
Kardinal Walter Kasper kann mit seinem Anliegen, bei Martin Luther eine ökumenische Perspektive aufzuweisen, in keiner Weise überzeugen. Damit dürfte er auch kein guter ökumenischer Ratgeber für Papst Franziskus sein.
http://www.katholisches.info/2016/10/15/kardinal-kaspers-oekumenische-allgemeinplaetzchen-iv/
Bisher von Hubert Hecker in dieser Reihe erschienene Aufsätze über Martin Luther:
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